Unzufrieden mit den Ergebnissen von Kundenbefragung für die Neuproduktentwicklung? Kundenbeobachtung sticht Kundenbefragung! Wir haben für sie einen Klassiker des Harvard Business Manager Magazin zum Thema Innovation mit Kunden ausgegraben. Und finden, er passt heute mehr denn je, wenn Einfallsreichtum die Konkurrenz ausstechen soll. „Innovative Produkte durch empathische Kundenbeobachtung“ wurde bereits 1998 veröffentlicht und zeigt wie in B2B und B2C durch Kundenbeobachtung Innovationen gefunden wurden. Besonders hilfreich am Ende des Artikels die Anleitung, wie man Kundenbeboachtungen durchführt: Die Do’s and Don’ts für die praktische Umsetzung. Einen Auszug finden sie anbei, für den gesamten Artikel senden sie uns bitte eine kurze Mail
Innovative Produkte durch empathische Kundenbeobachtung
Jedes Unternehmen konkurriert bis zu einem gewissen Grad auf Basis kontinuierlicher Produktinnovation. Damit sie auch geschäftlich erfolgreich wird, müssen die Ideen zu neuen Produkten oder Serviceleistungen allerdings den tatsächlichen – oder wahrgenommenen – Bedürfnissen der Kunden entsprechen. Daher kommen ja solche verbreiteten Losungen wie „Die Nähe zum Kunden suchen“ oder „Auf die Stimme des Kunden hören“. Freilich ist es mit der Fähigkeit der Kunden, auf die Entwicklung neuer Produkte und Serviceleistungen einzuwirken, nicht weit her – sie ist begrenzt durch die Erfahrungen der Kunden und ihr Vermögen, sich mögliche Innovationen überhaupt vorzustellen und diese Vorstellungen klar zu beschreiben. Wie aber können Unternehmen Bedürfnisse erkunden, die den Kunden selbst womöglich gar nicht bewußt sind? Und wie kann es Entwicklern gelingen, solche Bedürfnisse zu befriedigen, wenn sie nicht einmal bei extensiver Marktforschung klar zur Sprache kommen, weil Kunden annehmen, was sie sich wünschen, sei ohnehin nicht erfüllbar? „…“ Im Gegensatz zu Zielgruppenanalysen, Gebrauchseignungstests und anderen Methoden der herkömmlichen Marktforschung hat dieses Beobachten im direkten Umfeld, dem Alltag der Kunden stattzufinden. Hier können Forscher eine Fülle an Eindrücken zusammentragen, die ihnen bei anderen beobachtungsorientierten Forschungsmethoden versagt bleiben. Die Techniken eines empathischen Produktgestaltens – das Sammeln, Analysieren und Umsetzen von Informationen, die bei Feldbeobachtung anfallen – sind hochkarätigen Konstruktions- oder Designfirmen sowie wenigen vorausschauenden Herstellern durchaus bekannt, zur allgemeinen Praxis zählen sie nicht. Sie werden in Marketingkursen auch nicht gelehrt, da sie eher in das Gebiet der Anthropologie als das der Marketinglehre fallen. So sind auch nur wenige Unternehmen darauf eingerichtet, einfühlendes Produktgestalten zu praktizieren; seine Techniken erfordern außergewöhnliche kooperative Fähigkeiten, die viele Firmen nicht ausgebildet haben. Marktforscher benutzen in der Regel Textvorlagen und Zahlenwerke, um Ideen zu neuen Produkten anzuregen. Dagegen bedienen sich empathische Entwickler auch visueller Informationen. Traditionelle Marktforscher sind meist darauf geeicht, Daten zu sammeln, ohne sich viel um die methodischen Ansätze anderer Fachgebiete zu kümmern; empathisches Produktgestalten verlangt aber ein kreatives Interagieren unter den Mitgliedern eines interdisziplinären Teams. Diesen Sachverstand zu entwickeln bedeutet eine lohnende Investition. Denn einfühlendes Beobachten ist ein relativ kostengünstiger, risikoarmer Weg, Kundenbedürfnisse zu ermitteln, die potentiell entscheidend sein können; „…“
Wenn Fragen nicht zu Antworten führen
„…“ Manchmal sind Kunden jedoch an ein vorhandenes Produkt so gewöhnt, daß ihnen gar nicht einfällt, nach einer neuen Lösung zu verlangen – selbst wenn sie das Bedürfnis nach einem Produkt haben, das ihnen mehr zusagen würde. Die Macht der Gewohnheit stumpft uns tendenziell gegen Unbequemlichkeiten ab. Als Verbraucher schaffen wir uns „Ersatzlösungen“, die uns so vertraut werden, daß wir möglicherweise vergessen, was uns zu diesem Kompromiß gezwungen hat – und so sind wir vielleicht außerstande, Marktforschern zu erzählen, was wir wirklich wollen. Als etwa eine Nutzerin zur Textverarbeitungsfunktion ihres Programm befragt wurde, äußerte sie keinerlei Klagen – bis sie sich vor den Bildschirm setzte und das Programm im Beisein eines Beobachters in Betrieb nahm. Nun erst fiel ihr auf, daß sie in ihrer Arbeit stets unterbrochen wurde, wenn das Programm Texte nicht automatisch um Bilder fließen ließ. Daran gewöhnt, das Problem zu übergehen, hatte sie es in früheren Interviews auch nicht erwähnt. „…“ Es gibt also viele Gründe, weshalb Standardtechniken einer Kundenbefragung selten zu wirklich neuen Produktkonzepten führen. Es ist außerordentlich schwierig, ein Marktforschungsinstrument zu konstruieren, das quantitative Analyse erlaubt und zugleich so variabel ist, um auch das Umfeld eines Kunden rundum zu erfassen. Marktforschern macht es zu schaffen, daß Kunden einerseits dazu neigen, den Befrager mit Antworten zu erfreuen, die dieser womöglich erwartet, und andererseits Peinlichkeiten zu vermeiden suchen, indem sie alles verschweigen, was vielleicht als unpassend gelten könnte. „…“ Aber warum sollte Beobachten eine bessere Methode sein?
Was wir beim Beobachten lernen
„…“ Nehmen wir Benutzerfreundlichkeit: Läßt sich das Bündel an Funktionen nur schwer entwirren? Muß der Benutzer ständig zum Handbuch greifen, oder sind die Betriebsfunktionen eindeutig vom Design her erkennbar? Sind Griffe, Knöpfe oder Abstände ergonomisch gestaltet? Zögert der Nutzer an einem bestimmten Punkt, oder ist er verwirrt? „…“ Diese Art Feedback bekommen Sie leicht, wenn Sie Menschen bei der Arbeit mit dem Produkt in einem Anwendungslabor beobachten oder durch Testen des Produkts in Hinsicht auf unterschiedliche ergonomische Anforderungen. „…“ Die dazugehörigen Gestaltungstechniken können wenigstens fünf unterschiedliche Arten von Information eintragen, die keine übliche Markt- oder Produktforschung zutage fördert.
Impulse zur Nutzung
Was veranlaßt Leute, Ihr Produkt oder Ihren Service zu nutzen. „…“Bei ihrer Feldforschung stellten die Hersteller von Frühstücksflocken fest, daß diese in manchen Haushalten nicht nur als Frühstückskost beliebt sind. Eltern kleiner Kinder, so zeigte sich, kauften einige Sorten auch deshalb besonders gern, weil sich diese Stückchen, Ringe und andere speziell geformte Cerealien bei Ausflügen bequem mitnehmen und als kleine, appetitliche Snacks an den Nachwuchs austeilen ließen. Und als der Produktmanager eines Speiseöls aus der Sprühflasche seinen Nachbarn dabei beobachtete, wie er die Flasche benutzte, um den Unterboden seines Rasenmähers zu ölen, war er auf einen völlig überraschenden Kaufimpuls gestoßen. Nach dem Sinn seines Tuns befragt, erklärte der Nachbar: Das Öl verhindere, daß das abgeschnittene Gras unten am Rasenmäher festklebe und dem Rasen schade das Öl ja nicht. „…“
Interaktionen im Umfeld von Produktanwendern
Inwieweit wird Ihr Produkt oder Service den Vorlieben und Gewohnheiten von Nutzern gerecht?“…“ Als Techniker eines Laborausstatters einen Kunden besuchten, sahen sie, wie ein bestimmtes Gerät bei einigen Anwendungen starke Ausdünstungen verursachte. Auf Grund dieser Beobachtung beschloß der Hersteller, die Geräte dieser Baureihe fortan mit Dunstabzugshauben zu versehen. Bis dahin hatten sich die Nutzer so an den unangenehmen Gestank gewöhnt, daß ihnen nie eingefallen war, über dieses Ärgernis zu sprechen, geschweige denn, sich solche Dunstabzüge zu wünschen – bis sie schließlich verfügbar waren. „…“
Produktanpassungen durch Nutzer
Wichtig ist, sich zu fragen, ob Nutzer das Produkt verändern oder gar neu „erfinden“, damit es ihren Zwecken besser dient. „…“ Von den japanischen Autoherstellern unterhält mittlerweile jeder ein Designstudio im südlichen Kalifornien, weil die fanatischen Autobesitzer dort ihre Autos oft erheblich umbauen – sei es in praktischer Hinsicht (mehr Laderaum, stärkerer Motor), sei es zur Selbstdarstellung (Spoiler, Spezialreifen, Farblackierung). Diese Autofans zu beobachten hilft den Entwicklern von Nissan oder Toyota, sich potentielle Weiterentwicklungen ihrer Modelle vorzustellen – und liefert manche Eindrücke von der Zukunft des Autos. Zuweilen läßt sich beobachten, wie Nutzer mehrere vorhandene Produkte zu einem Zweck kombinieren. Das macht nicht nur auf unerwartete Verwendungsmöglichkeiten für bisherige Produkte aufmerksam – auch deren Mängel werden deutlicher erkennbar. Ein bekannter Putzmittelhersteller gab Kundenfamilien Videorecorder an die Hand, um einmal zu filmen, wie seine Produkte tatsächlich benutzt werden. Auf den Filmen war dann zu sehen, wie Hausfrauen oder -männer ihre eigenen Mischungen für bestimmte Arbeitszwecke herstellten, etwa zum Waschen weißer Gardinen („eine Tasse Soda, eine Tasse Geschirrspülmittel“ und so weiter). „…“
Immaterielle Produkteigenschaften
Welche weniger wichtigen Eigenschaften oder intangiblen Merkmale besitzt Ihr Produkt oder Service? Von Käufern werden solche Eigenschaften bei Fokusgruppenstudien oder Umfragen nur selten erwähnt, obwohl sie emotional durchaus Bedeutung haben – und geschäftlich auch. Beim Betrachten der Videos zum Gebrauch der Putz- und Waschmittel zeigte sich etwa, wie häufig der Geruch von Produkten Zufriedenheit bewirkte, ja sogar nostalgische Gefühle auslöste („Meine Mutter hat das immer benutzt“) oder andere Emotionen („Wenn es so sauber riecht, hat sich all meine Arbeit gelohnt.“). „…“
Unausgesprochene Nutzerbedürfnisse
Der vielversprechendste Weg zu einer empathischen Produktgestaltung besteht wohl im Beobachten von aktuellen oder potentiellen Kunden, die sich mit vorhandenen Produkten oder Dienstleistungen schwertun, aber nicht wissen, ob die Probleme lösbar sind, ja teilweise diese Probleme nicht einmal bewußt wahrnehmen. Ist da etwas zu sehen, was Nutzer nicht hinbekommen, und wenn es ihnen gelänge, von Vorteil wäre? Eine Produktentwicklerin von Hewlett-Packard saß in einem Operationsraum und sah dem Chirurgen bei der Arbeit zu. Dieser gebrauchte sein Skalpell, indem er den Körper des Patienten und seine eigenen Hände auf einem Bildschirm beobachtete. Krankenschwestern, die sich im Raum bewegten, verdeckten immer wieder für Sekunden das Bild und unterbrachen damit auch stets den Operationsverlauf. Niemand beklagte das. Aber dieses bisher nicht eingestandene Problem brachte die Entwicklerin auf die Idee eines leichtgewichtigen Helms mit Schirm, auf den die Bilder in geringem Abstand von den Augen des Chirurgen projiziert werden würden; HP war technisch imstande, eine solche Hilfe herzustellen. Dem Chirurgen wäre niemals der Gedanken gekommen, etwas Derartiges zu verlangen – obwohl damit seine Arbeit erheblich produktiver, präziser und leichter werden würde. „…“Der Spanplattenhersteller Weyerhaeuser reagierte auf ein unausgesprochenes Bedürfnis und sicherte sich so einen maßgeblichen Wettbewerbsvorteil. Dieses Bedürfnis hatten Vertreter beim Besuch in der Fabrik eines Kunden festgestellt. Bei diesem, einem großen Möbelhersteller, wurden Tischbeine gefertigt, indem schmale, von einem anderen Lieferanten produzierte Spanplatten zusammengeleimt wurden. Weyerhaeuser war jedoch weder imstande, bei den Preisen seines Mitbewerbers mitzuhalten noch den Kunden zu überzeugen, die eigenen höheren Preise seien wegen überragender Qualität gerechtfertigt. Also entwickelte das Unternehmen eine neuartige, viel dickere Spanplatte, die das bei dem bisherigen Verfahren der Stuhlbeinherstellung nötige Zusammenleimen überflüssig machte. Das würde dem Kunden Maschinen- und Arbeitskosten sparen helfen – und tatsächlich, Weyerhaeuser kam wieder ins Rennen. „…“
Empathisches Produktgestalten: das Verfahren
Beim empathischen Gestalten oder ähnlichen Ansätzen – wie etwa Kontextanalysen – können Firmen auf ganz unterschiedliche Weise vorgehen. Meistens läuft es jedoch in einem fünfstufigen Verfahren ab:
Schritt eins: Beobachtung
Hierzu ist es wichtig zu klären, wer beobachtet werden sollte, wer der Beobachter sein und auf was er achten sollte. Wer sollte beobachtet werden? Dabei kann es sich um Kunden handeln, Nichtkunden, Kunden von Kunden oder eine Gruppe von Personen, die unterschiedliche Rollen bei der Nutzung eines Produkts oder Service spielen. „…“
Schritt zwei: Die Daten erfassen
Da sich die Techniken empathischen Gestaltens stärker auf Kundenbeobachtung als -befragung stützen, werden relativ wenige Informationen im Frage-Antwort-Spiel gewonnen. Wenn Beobachter genauer wissen wollen, wie bestimmte Handlungen der beobachteten Personen zu verstehen sind, stellen sie unter Umständen einige ergebnisoffene Fragen, etwa: „Warum machen Sie das?“ Häufig haben sie eine Liste mit Fragen bei sich, die ihnen bei ihren Beobachtungen auf die Sprünge helfen sollen, zum Beispiel: „Welche Probleme machen dem Nutzer zu schaffen?“ Aber die meisten Daten entstammen visuellen, auditiven und sensorischen Eindrücken. „…“
Schritt drei: Reflexion und Analyse
Nachdem auf vielerlei Weise Daten gesammelt wurden, kehren die Teammitglieder zurück, um über ihre Beobachtungen nachzudenken. Gemeinsam mit Kollegen, die nicht zum Team gehören, analysierten sie ihre visuellen Eindrücke. „…“
Schritt vier: Brainstorming für Lösungen
Brainstorming ist ein wichtiger Baustein für jeden Innovationsprozeß; im Rahmen empathischen Produktgestaltens wird es besonders dazu eingesetzt, Beobachtungen in graphische oder visuelle Präsentationen möglicher Lösungen zu übersetzen. Entwicklungsfirmen sind überzeugt, dieser Schritt werde häufig unterschätzt: „Unsere Kunden verstehen manchmal nicht, warum Brainstorming so teuer – und immens produktiv – ist, bis sie einmal an einer solchen Sitzung teilgenommen haben.“…“
Schritt fünf: Prototypen möglicher Lösungen entwickeln
Natürlich gibt es Prototypen auch dort, wo empathisches Produktgestalten nicht erfolgt. Doch ist ein Produkt radikal neu, wird es um so schwieriger, sich dessen Aussehen, Funktion und Gebrauch vorzustellen. Produktforscher müssen also nicht nur nützliche visuelle Informationen sammeln, sondern auch zu viel Kommunikation stimulieren. Wie? Indem sie ein halbwegs realistisches Modell des angedachten neuen Produkts oder Service anfertigen. „…“. Beispiel Chaparral Steel: Dort sollten metallische Schutzschilde konstruiert werden für die Strecke, auf der die weißglühenden Metallstäbe zu den Walzen bewegt werden. Zunächst montierten die Techniker wassergetränkte Sperrholzbretter in unterschiedlichen Winkeln und Höhen, um Konstruktionsvarianten zu simulieren. Zwar wurde das Sperrholz rasch von dem heißen Metall verbrannt – doch hatten die Tests schon gezeigt, welcher Entwurf sich am besten eignete. „…“
Empathisches Produktgestalten: ein Kulturwandel
An den aus einfühlender Kundenbeobachtung hervorgehenden neuen Ideen wird häufig kritisiert: „Aber die Nutzer haben das gar nicht verlangt.“ Stimmt. Aber wenn sie es erst ausdrücklich verlangen, werden Ihre Mitbewerber diesselben Konzepte für neue Produkte haben wie Sie, und dann werden Sie sich in dem „Metoo“- Spiel wiederfinden, bei dem Sie die Ideen der Konkurrenz nur kopieren und verbessern. Empathisches Beobachten korrigiert die Vorstellung, Nutzer sollten die Entwicklung neuer Produkte steuern. Verbraucher tun es auch in diesem Falle, nur ist es ihnen nicht bewußt. Einfühlende Kundenbeobachtung treibt Innovation weiter voran, als nur vorhandene Produktlösungen zu verbessern. „…“
(c) 1998 by the President and Fellows of Harvard College, ursprünglich erschienen in „Harvard Business Review“ Nr. 6, November/Dezember 1997, unter dem Titel „Spark Innovation Through Empathic Design“. Übersetzung Henriette Holtz